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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.01.2005
Aktenzeichen: 3Z BR 220/04
Rechtsgebiete: FGG, GG
Vorschriften:
FGG § 34 Abs. 1 | |
FGG § 69i Abs. 3 | |
FGG § 69g Abs. 1 | |
GG Art. 1 Abs. 1 | |
GG Art. 2 Abs. 1 | |
GG Art. 103 Abs. 1 |
Gründe:
I.
Das Vormundschaftsgericht K ordnete am 12.9.2002 für die Betroffene Betreuung mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Sorge für die Gesundheit, Vertretung bei Behörden sowie Entscheidung über Empfang und Öffnen der Post an und bestellte insoweit die jüngste Tochter der Betroffenen, die Beteiligte zu 1, für den Verhinderungsfall deren Bruder, als Betreuer. Für den Aufgabenkreis Vermögenssorge wurde als Betreuerin eine Rechtsanwältin, die Beteiligte zu 2, bestellt. Gegen diesen Beschluss legte die Beteiligte zu 3, die älteste Tochter der Betroffenen, Beschwerde ein, die das Landgericht K mit Beschluss vom 31.10.2002 zurückwies.
Mit Schreiben vom 9.11.2002 beantragte die Beteiligte zu 3 beim Amtsgericht K Abschrift des der Betreuungsanordnung zugrunde liegenden nervenärztlichen Gutachtens sowie der Stellungnahme des Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1 zur Beschwerde der Beteiligten zu 3. Nach Anhörung der Betroffenen übertrug das Amtsgericht den Aufgabenkreis Empfang und Öffnen der Post auf die Beteiligte zu 2, übersandte der Beteiligten zu 3 Abschrift der Stellungnahme des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1, verweigerte jedoch im Hinblick auf die ablehnende Haltung der Betroffenen bei ihrer Anhörung eine Abschrift des nervenärztlichen Gutachtens. Mit Beschluss vom 28.3.2003 gab das Amtsgericht K das Verfahren an das Amtsgericht M ab, in dessen Bezirk die Betroffene nun ihren ständigen Aufenthalt hat.
Mit Schriftsatz vom 4.2.2004 stellte der damalige Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3 erstmals Antrag auf Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 17.2.2004 und vom 24.3.2004 verlangte er Abschrift des vom Amtsgericht M eingeholten Gutachtens zur Notwendigkeit der Fortführung der Betreuung, zur Geschäftsfähigkeit der Betroffenen, insbesondere ihrer Fähigkeit, Vollmachten zu erteilen und zu überwachen sowie zur Notwendigkeit einer Erweiterung der Betreuung auf eine Umgangsregelung mit der Beteiligten zu 3.
Der nunmehrige Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3 stellte mit Schriftsatz vom 21.4.2004 Antrag auf Akteneinsicht, den die Vormundschaftsrichterin unter Hinweis auf den Willen der Betroffenen am 3.5.2004 telefonisch ablehnte. Am 29.6.2004 wiederholte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3 sein Akteneinsichtsgesuch, das das Vormundschaftsgericht nach Anhörung der Betroffenen mit Beschluss vom 14.7.2004 ablehnte. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies das Landgericht mit Beschluss vom 20.9.2004 zurück, nachdem es der Beteiligten zu 3 Gelegenheit gegeben hatte, das Ziel ihres Akteneinsichtsgesuchs zu verdeutlichen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 vom 13.10.2004.
Nachdem die Betroffene am 8.11.2004 einem Dritten notariell beurkundete Generalvollmacht in Vermögensangelegenheiten erteilt hatte, hob das Amtsgericht mit Beschluss vom 22.11.2004 die Betreuung hinsichtlich des Aufgabenkreises Vermögenssorge auf und entließ insoweit die hierfür bestellte Beteiligte zu 2 als Betreuerin.
II.
Das zulässige Rechtsmittel der Beteiligten zu 3 bleibt ohne Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung folgendermaßen begründet:
Der Beteiligten zu 3 könne Akteneinsicht gemäß § 34 Abs. 1 FGG nicht gewährt werden, da ihrem Interesse, den Vermögensstatus der Betroffenen zu kontrollieren, deren höher zu bewertendes Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art.1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG entgegenstehe. Dieses umfasse auch das Recht eines Betreuten, die Einsichtnahme Dritter, zu denen auch leibliche Verwandte zählten, in ihre Vermögensverhältnisse zu unterbinden. Aus der testamentarischen Schlusserbenstellung der Beteiligten zu 3 nach dem Tod der Betroffenen ergebe sich ebenso wenig eine rechtliche Verstärkung ihres Akteneinsichtsinteresses wie aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art.103 Abs. 1 GG, da die Beteiligte zu 3 beim Stand des Beschwerdeverfahrens keine durch diese Vorschrift geschützte Beteiligtenstellung inne gehabt habe. Weder aus § 68a FGG noch aus § 69g FGG habe sich zum maßgeblichen Zeitpunkt eine solche ergeben. Zweifel an der Wirksamkeit der Ablehnung der Akteneinsicht seitens der Betroffenen bestünden aufgrund der gutachterlichen Darlegung nicht. Von einer Beeinflussung der Betroffenen durch die Beteiligte zu 1 sei im Hinblick darauf, dass das Amtsgericht dieser die Sachlage im Einzelnen erläutert und die Betroffene ihre bereits früher ablehnende Haltung bestätigt habe, nicht auszugehen.
2. Diese Ausführungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Überprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).
Zu Recht hat das Landgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die Prüfung des Akteneinsichtgesuchs der Beteiligten zu 3 mit dem Ziel, die ordnungsgemäße Ausübung der Vermögenssorge durch die Beteiligte zu 2 zu überprüfen, lediglich auf § 34 Abs. 1 FGG gestützt und ein erweitertes Akteneinsichtsrecht aus Art.103 Abs. 1 GG (vgl. dazu Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann GG Art.103 Rn.74) abgelehnt.
a) Anspruch auf rechtliches Gehör hat, wer an einem gerichtlichen Verfahren als Partei oder in ähnlicher Stellung beteiligt ist oder unmittelbar rechtlich von dem Verfahren betroffen wird (vgl. BGH NJW 1999, 3718/3719 m.w.N.), im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die formell oder materiell Beteiligten (BGH aaO; BVerfG NJW 1995, 2155; BayObLGZ 1989, 292/294; Keidel/Schmidt FGG 15.Aufl. § 12 Rn. 141). Beteiligter im materiellen Sinn ist jeder, dessen Rechte und Pflichten durch die Regelung der Angelegenheit durch das Gericht unmittelbar betroffen werden oder betroffen werden können, ohne Rücksicht darauf, ob er im Verfahren aufgetreten ist (vgl. Keidel/Zimmermann aaO § 6 Rn. 18). Die letztwillige Einsetzung der Beteiligten zu 3 als Schlusserbin gemeinsam mit ihren Geschwistern nach dem Tod der Betroffenen begründet keine derartige Rechtsstellung. Dem oder den Schlusserben fällt lediglich das beim Tod des länger lebenden Ehegatten noch vorhandene Vermögen an; der überlebende Ehegatte kann - abgesehen von gewissen Beschränkungen - über das Vermögen unter Lebenden frei verfügen (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 64.Aufl. § 2269 Rn. 3).
Im Amtsverfahren erlangt der materiell nicht Beteiligte eine formelle Beteiligung nicht dadurch, dass er von sich aus durch Anregungen oder Anträge in das Verfahren eingreift (vgl. BGH aaO; Jansen FGG 2.Aufl. § 6 Rn.5; Bassenge/Herbst/Roth FGG RPflG 9.Aufl. Einl. FGG Rn. 24). Zu Recht hat das Landgericht daher eine formelle Beteiligtenstellung der Beteiligten zu 3 aufgrund der Anregung des vormaligen Verfahrensbevollmächtigten, die Beteiligte zu 2 als Vermögensbetreuerin zu entlassen, abgelehnt. Zutreffend hat es ausgeführt, dass sich eine Beteiligtenstellung auch nicht aus den in § 69g Abs. 1 (und § 69i) FGG geregelten Beschwerdebefugnissen ergibt. Gegen die Ablehnung der Entlassung steht der Beteiligten zu 3 kein Beschwerderecht zu, die Aufhebung der Betreuung war nach ihren mehrfachen Bekundungen nicht von ihr angestrebt.
b) Das Beschwerdegericht hat das Interesse der Beteiligten zu 3 auf Überprüfung der Vermögensbetreuung und Kenntnis der tatsächlichen Grundlagen der ihr als Schlusserbin eingeräumten Erbaussicht gemäß § 34 Abs. 1 FGG abgewogen gegen das von der Betroffenen mehrfach ausgeübte Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Art.1 Abs. 1, Art.2 Abs. 1 GG geschützt ist, und ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gekommen, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung letzteres das Akteneinsichtinteresse der Beteiligten zu 3 überwog.
Die Ermessensentscheidung des Gerichts der Tatsacheninstanz ist im Verfahren der weiteren Beschwerde nur beschränkt nachprüfbar, insbesondere darauf hin, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden, das Tatsachengericht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und von zutreffenden und verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen ausgegangen ist (vgl. BayObLG FGPrax 1997, 32; Keidel/Meyer-Holz aaO § 27 Rn. 23).
Soweit dem Senat danach eine Prüfung möglich ist, sind Rechtsfehler nicht zu erkennen. Das Beschwerdegericht hat die Fähigkeit der Betroffenen, über die Einsicht in die sie betreffenden Unterlagen, insbesondere ihre Vermögensverhältnisse, zu entscheiden, rechtsfehlerfrei angenommen. Es hat eine mögliche Beeinflussung der Betroffenen durch die Beteiligte zu 1 bei ihrer Willensbildung in Betracht gezogen, im konkreten Fall jedoch im Hinblick auf die vormundschaftsgerichtliche Anhörung und Beratung als nicht durchgreifend angesehen. Dagegen ist nichts zu erinnern. Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht das Recht der Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung als gegenüber dem Interesse der Beteiligten zu 3 auf Kenntnis vom Stand des Vermögens und darüber getroffene Verfügungen höherrangig bewertet.
3. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Zutreffend hat das Landgericht darauf aufmerksam gemacht, dass sich die verfahrensrechtliche Stellung der Beteiligten zu 3 im Lauf des weiteren Betreuungsverfahrens verändern und ihre Akteneinsichtsbefugnis insbesondere dann anders zu beurteilen sein kann, wenn ihr ein Beschwerderecht nach § 69g Abs. 1 FGG zusteht und sie dieses Recht ausüben oder überprüfen will, ob sie dieses ausüben soll.
Als Tochter der Betroffenen gehört die Beteiligte zu 3 zu dem nach § 69i Abs. 3, § 69g Abs. 1 FGG privilegierten Personenkreis, dem gegen einen die Betreuung aufhebenden oder den Wirkungskreis einschränkenden Beschluss des Amtsgerichts ein Beschwerderecht auch ohne Beeinträchtigung eigener Rechte (§ 20 FGG) zusteht. Sie ist daher auch gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 22.11.2004 beschwerdebefugt. Mit dieser Entscheidung hat das Vormundschaftsgericht die Betreuung im Aufgabenkreis Vermögenssorge aufgehoben und die Beteiligte zu 2 mit ihrer Zustimmung insoweit als Betreuerin entlassen, da die Betroffene am 8.11.2004 ihrem langjährigen Steuerberater eine notariell beurkundete Generalvollmacht in Vermögensangelegenheiten erteilt hatte.
Das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nach Art.103 Abs. 1 steht der Beteiligten zu 3 bereits vor Einlegung der Beschwerde zu, da die sinnvolle Ausübung der Beschwerdebefugnis Informationen über den Verfahrensgegenstand voraussetzt.
Allerdings besteht auch das grundrechtsgleiche Recht aus Art.103 Abs. 1 GG nicht schrankenlos (vgl. Jarass/Pieroth GG 7.Aufl. Art.103 Rn. 4).
Dem aus ihrem Beschwerderecht nach § 69i Abs. 3, § 69g Abs. 1 FGG folgenden Anspruch der Beteiligten zu 3 auf rechtliches Gehör gemäß Art.103 Abs. 1 GG steht hier das als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art.1 Abs. 1, Art.2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 65, 1/41/42) der Betroffenen gegenüber. Dieses Recht ist seinerseits jedoch nicht in dem Sinne schrankenlos gewährleistet, dass dem Einzelnen ein Recht im Sinne einer absoluten uneinschränkbaren Herrschaft über "seine" Daten zusteht (vgl. BVerfG aaO S.43/44).
Bei Abwägung der beiderseitigen verfassungsrechtlichen Positionen wird eine vollständige Versagung der Akteneinsicht unter Berücksichtigung der ablehnenden Haltung der Betroffenen nicht in Betracht kommen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Ausübung der Beschwerdebefugnis nach § 69i Abs. 3, § 69g Abs. 1 FGG und der damit verbundenen Verfahrensrechte eindeutig rechtsmissbräuchlich wäre. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus dem bisherigen Akteninhalt nicht, insbesondere verhielte sich die Beteiligte zu 3 bei Ausübung ihres Beschwerderechts nicht widersprüchlich. Bereits die Beschwerde gegen die Betreuerbestellung durch das Amtsgericht K stellte die Betreuungsnotwendigkeit als solche nicht grundsätzlich in Frage, sondern zielte in erster Linie auf die aus Sicht der Beteiligten zu 3 fehlerhafte Betreuerauswahl. Die Nachfrage des jetzigen Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 3 vom 20.8.2004 an das Vormundschaftsgericht, wann mit einer Entscheidung über die beantragte Aufhebung der Betreuung zu rechnen sei, bezog sich, wie mit Schriftsatz vom 3.9.2004 klargestellt wurde, nicht auf einen vorangegangenen Antrag der Beteiligten zu 3. Gemeint gewesen sein dürfte die Anregung der Beteiligten zu 2 vom 10.11.2003, die der damalige Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 3 zusammen mit dem später aufgehobenen Beschluss vom 10.12.2003 u.a. über die Einholung eines Gutachtens zur Notwendigkeit der Fortführung der Betreuung übermittelt wurde.
Der Umfang einer etwaigen Akteneinsicht wird unter Berücksichtigung von Zweck und Ziel der Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3 zu bestimmen sein.
Die Beschwerdebefugnis gemäß § 69i Abs. 3, § 69g Abs. 1 FGG steht der Beteiligten zu 3 unabhängig von einer eigenen Beschwer zu (vgl. Keidel/Kayser aaO § 69g Rn.9; BayObLG FamRZ 1995, 1596). Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die nahen Angehörigen durch die in den genannten Bestimmungen aufgeführten Entscheidungen jedenfalls tatsächlich betroffen sind und in der Regel als Sachwalter der Interessen des Betroffenen angesehen werden können. Ziel einer Beschwerde der nach Abs.69g Abs. 1 FGG privilegierten Personen kann dabei auch die (Wieder-)Herstellung einer Rechtslage sein, die der Betroffene mit natürlichem Willen ablehnt.
Ende der Entscheidung
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